Körperwahrnehmung – nackte Frau hält sich mit Ästen bemalte Arme vor Oberkörper und Gesicht

Deinen Körper ernst nehmen – traust du dich?

ZOYA und der Körper
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Inhaltsverzeichnis

Was sagt dein Körper?

Sitzen ist tödlich

Du bist gerade 10 Kilometer gelaufen? Dann ist Sitzen jetzt genau das Richtige für dich: dein Körper schaltet in den Ruhemodus. Er reduziert die Aktivität von Stoffwechsel und Kreislauf. Deine gesamte Muskulatur, auch für Herz und Skelett, wird wenig beansprucht. Gemütlich! 🛋️

Aber gewöhnlich brauchst du diese Art von Ruhe nicht: schon nach rund vier Stunden wird Sitzen toxisch. Dann erhöht sich das Risiko für:

  • Diabetes Mellitus Typ 2,
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
  • diverse Krebsarten und einen
  • früheren Tod!

Sogar Sport kann die Schäden, die so entstehen nicht (!) mehr ausgleichen.

Tägliches Gift

Trotzdem sitzen über 50 % der Menschen in Deutschland täglich über 4 1/2 Stunden. Viele davon auch noch deutlich mehr. Beim Essen, beim Arbeiten, beim Netflixen…

Komisch, oder? Als Lebewesen sind wir doch dafür gemacht, unser Leben ganz selbstverständlich zu schützen und zu erhalten! Wieso schaden wir uns so sehr? Und viel Sitzen ist ja nur ein Beispiel. Dir fällt sicher noch mehr ein.

Körperweisheit – Frau mit lockigem Haar liegt seitlich mit Smartphone in der Hand

Die Weisheit unseres Körpers

Sind wir mal ehrlich: „Ich will einfach gerade nicht aufstehen“ und „Sport ist Mord“ gehen nicht gerade mit einem fantastischen Gefühl einher, oder? Und das Gefühl nach der letzten Stunde Spazierengehen-Yoga-Joggen-Fitness war doch eigentlich ziemlich gut…

Müssen wir wirklich neu lernen unseren Körper wahrzunehmen oder zu verstehen, was uns schadet? Oder geht es um etwas anderes?

Der Körper – Basis des Lebens

Dein Körper lenkt dein Befinden, deine Entscheidungen, deine Gewohnheiten, dein ganzes Sein! Jetzt schon, ohne dass du es merkst.

Und auch wenn du vielleicht manchmal den Eindruck hast, „nur im Kopf“ zu sein: dein Körper bleibt die entscheidende Basis für dein Leben! Aus der Zusammenarbeit zwischen den Sensoren und Sinnen deines Körpers und dem Gehirn entstehen sogar Gedanken und Emotionen.

Körperwahrnehmung an sich ist also nichts, was du erst lernen müsstest – das kannst du schon. Was dann?

Die Beziehung zu uns selbst

Um was es vielmehr geht, ist:

  1. das Bewusstsein über Signale und Botschaften deines Körpers,
  2. die bewusste Neugier für dich selbst und
  3. der Respekt gegenüber deinen Empfindungen.

Das bedeutet z. B. das Ziehen in deinem Nacken:

  • bewusst wahrzunehmen,
  • zu ergründen, woher es kommt und was es bedeutet und
  • es nicht zu ignorieren, sondern aufzustehen und dich zu strecken.

Klingt eigentlich ziemlich easy, ist aber manchmal erstaunlich schwierig…was könnte dich daran hindern?

Körperweisheit – Frau in Unterwäsche streckt sich auf Bett

Die Gründe liegen gewöhnlich in zwei Bereichen verborgen:

  1. in deiner Biografie (in dem, was du bisher erlebt hast) und
  2. in deiner Umgebung (der Kultur und Gesellschaft, die dich geprägt hat und / oder die dich umgibt).

Angst, Wut, Ohnmacht – spüren wird gefährlich

Es gibt keinen Grund, den eigenen Körper nicht bewusst zu spüren. Außer es scheint zu unangenehm und gefährlich.

Das klingt unglaublich, oder? Es ist gar nicht so einfach, das zu erkennen und zu verstehen: dieses Nicht-Spüren ist in der Regel nämlich gar nicht bewusst. Und das ist wiederum Teil des Problems. Das meine ich damit:

Körpergedächtnis – Vergangenheit in der Gegenwart

Kein Leben kommt ohne verletzende, schreckliche Erlebnisse aus. Das ist an sich auch gar nicht so schlimm - denn das Leben geht ja weiter und schlechte Zeiten gehen vorbei. Theoretisch.

Praktisch bleiben wir aber oft in diesen Zeiten stecken. Und zwar körperlich:

Dein Körper bleibt an Erinnerungen haften, die bis vor die eigene Geburt reichen können. Er erzählt mit seinen Signalen heute noch von alten Zeiten, z. B. in Form von Emotionen. Das ist schwierig zu verstehen, denn es scheint als hätte das, was wir jetzt fühlen, auch genau in diesem Moment seinen Ursprung. Während wir uns aber in der Gegenwart befinden, nimmt unser Inneres Bezug auf Vergangenes. Heute und damals werden verbunden.

Waren die vergangenen Ereignisse angenehm, ist das auch meistens kein Problem. Schwierig wird es, wenn sie unangenehm waren. Hier ein typisches Beispiel:

Körperwahrnehmung – Seitenportrait von Frau mit schwarzem Trägerhemd und mit schwarzem Tuch verbundenen Augen vor schwarzem Hintergrund

Einfluss der Kindheit

Nehmen wir ein Erlebnis aus einer gewöhnlichen Kindheit, z. B. einen Sturz mit dem Fahrrad. Der Sturz war nicht vorauszusehen, es ging alles überwältigend schnell, der Schreck und dieses Gefühl, die Schmerzen würden nie wieder aufhören…schrecklich!

Solche und ähnliche Erlebnisse haben Kinder alle. Sie sind extrem intensiv und körperlich unerträglich stark. Kümmert sich dann aber jemand ausreichend, kann ein Kind sich (machmal überraschend schnell) wieder beruhigen und wohlfühlen.

Wird das Kind nach dem Beispiel-Sturz getröstet und gut versorgt, kann es dieses Erlebnis integrieren und damit abhaken. Neuer Tag, neues Abenteuer. Wunderbar. 🚲🌳✨

Ist allerdings niemand angemessen für dieses Kind da, muss der Sturz es schlicht überfordern. Und damit ist nicht nur vorsätzliche Vernachlässigung gemeint. Es reicht, dass Eltern z. B. gerade sehr viel arbeiten oder selber im Stress sind.

Das einzige, was uns als Kind bleibt, wenn wir es nicht bewältigen können: wir schneiden uns von unseren körperlichen Empfindungen ab bzw. lassen wir sie gar nicht mehr entstehen. Und das passiert nicht nur bei Stürzen, sondern bei allem, was „irgendwie zu viel“ ist. Das ist eine Funktion unseres Nervensystems.

Dann wird alles weniger schlimm. Etwas taub. Aber besser als vorher. Und irgendwie kann es dann weitergehen. Tut es auch meistens. Das nennt man dann Funktionieren-Können.

Nicht mehr spüren wollen – nicht mehr fühlen können

Der Preis, den wir dafür zahlen müssen, ist leider immens: wir trennen uns nämlich auch ab von allem, was wir vielleicht gerne fühlen möchten. Lebendigkeit. Zuneigung. Stärke. Glück. Verbindung. Nähe. Das liegt daran, dass körperliche Empfindungen der Kern jeder Emotion sind. Ohne Körper auch kein Gefühl!

Das kann sich auf bestimmte Bereiche oder Zeiten in deinem Leben beziehen. Oder es ist alles ständig ein bisschen gedämpft und grau. Wie sehr wir dann manchmal über unsere Grenzen gehen, kriegen wir leider auch nur noch so halb mit – sei es zu wenig Bewegung oder zu viel Alkohol.

Abgesehen von manchen emotionalen Zusammenbrüchen ist das gedämpfte Erleben keine Ausnahme mehr, sondern Normalität. Dass Leben auch anders sein kann, ist vergessen.

Gesellschaft und Orientierung an anderen

Das besonders Tragische: diese Normalität entspricht in der Regel der Normalität unserer Umgebung. Wenn alle um dich herum scheinbar problemlos 14 Stunden am Schreibtisch sitzen – warum solltest du deine Rückenschmerzen ernst nehmen?

Und damit sind wir beim zweiten Grund für unsere Dauerbetäubung: Gesellschaft & Kultur. Wir können nicht von einander lernen, etwas anders zu machen, wenn wir es alle ähnlich machen.

Körperwahrnehmung – Fünf gleich aussehende Frauen mit grauem Pullover schwarzem Schal und schwarzer Mütze vor Ziegelwand

Körperignoranz als Kultur

In „körperfremden“ Kulturen lernen wir, sogar Körperempfindungen zu ignorieren, derer wir uns zunächst noch bewusst sind. Das kann der Drang sein, in der Schule zwischendurch aufzustehen. Das können die Kopfschmerzen nach einem langen Meeting sein. „XZY noch fertig machen“ ist wichtiger als der eigene Körper.

Ist es vielleicht ab und zu auch – meistens aber nicht. Dass wir unser Leben quasi unabhängig von unserem Körper leben könnten, ist eine Illusion!

Bewusste Körperwahrnehmung als Rebellion

Diese Art zu Funktionieren sichert das Überleben in z. B. kapitalistischen Strukturen. Gleichzeitig erlauben solche Strukturen auch nur Funktionieren und nicht viel mehr. Körperfeindliche Paradigmen begraben nicht nur zufällig, sondern ganz gezielt unser Körperbewusstsein.

Dir dein Spüren wieder bewusst werden zu lassen und ernst zu nehmen, ist daher nicht selten ein revolutionärer Akt. Täglich stundenlang im Büro zu sitzen, wird zunehmend schwieriger und der Kater als Preis für die Party lohnt sich nicht mehr…

Und dementsprechend möchte ich dich auch gleich warnen. Lässt du dich auf diese Reise ein, wirst du nicht nur Unterstützung und Beifall bekommen:

  • „jetzt übertreibst du aber!“,
  • „ach, stell dich doch nicht so an“,
  • „Augen zu und durch“,
  • „du glaubst doch nur, du seist etwas Besonderes“,
  • „so ist das Leben halt“.

Den Weg trotzdem zu gehen ist mutig. Du bekommst dafür deine Lebendigkeit zurück.

Traust du dich?

Körperwahrnehmung – Frau in weißen Shirt und Jeans sitzt auf steinigem Untergrund und lacht

Wieder zu dir finden

Beginne zu lauschen, was dein Körper dir zuflüstert. Oder vielleicht bereits zuruft.

  • Was hast du bisher nicht gehört oder nicht hören wollen?
  • Wie lässt sich die Sprache deines Körpers übersetzen?
  • Was sagt er dir?
  • Wohin möchte er dich führen?

Nutze deine eigene Körperweisheit wieder für dich. Je tiefer du aus deiner eigenen Quelle schöpfen kannst, desto leichter kannst du dich aus hinderlichen Abhängigkeiten lösen.

Du lernst dir selbst mehr und mehr zu vertrauen. Meinungen anderer Menschen oder der Medien bleiben Meinungen. Du entscheidest, ob du dich nach ihnen richten möchtest.

Komme wieder zu dir nach Hause, damit du dich selbst bewohnen kannst.

Quellen

Studien zu unserem Sitzverhalten und dessen Folgen:

Forschung zur Funktion unseres Gehirns, Nervensystems und Traumafolgen:

  • Barrett, Lisa Feldman: Seven and a Half Lessons About the Brain. 2020.
  • Van der Kolk, Bessel:  Verkörperter Schrecken. Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann. 7. Auflage, 2021.