Biorhythmus – Frau liegt quer im Bett und legt ihre Arme über das Gesicht

So lebst du besser mit deiner inneren Uhr

ZOYA und der Körper
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Inhaltsverzeichnis

Timing ist alles

Stell dir vor, du würdest für deine Party Tzatziki vorbereiten. Es ist 17:00 Uhr. Die ersten Gäste werden bald klingeln.

Du stellst dir alle Zutaten bereit und fängst an eine Gurke zu reiben. In Gedanken fragst du dich, ob Lara und Phil sich wohl verstehen werden und…schneidest dir in den Finger.

Es ist eine relativ große Wunde, aber du bist nicht außergewöhnlich schlimm verletzt. Die Wunde wird nach  ca. 17 Tagen vollständig verheilt sein.

Jetzt stell dir vor, es wäre nicht 17:00 Uhr gewesen. Sondern 23:00 Uhr. Dann würde die Wunde erst nach ca. 28 Tagen vollständig verheilt sein!

Das klingt kaum vorstellbar, oder?

Tatsächlich ist nachgewiesen (s. Quelle 1.), dass Verletzungen, die zwischen 08:00 Uhr und 20:00 Uhr entstehen, 60 % schneller heilen, als jene bei Nacht. Das liegt daran, dass die Fibroblasten (Bindegewebszellen), am Tag schneller unterwegs sind, um die Wunde zu verschließen. Sie schlafen bei Dunkelheit.

Und das liegt an unserer inneren Uhr!

Lichterkette liegt in den Händen und auf den Armen einer Person mit weißem Oberteil in der Dunkelheit

Wie unser Biorhythmus funktioniert

Lebenszyklen ähneln sich überall

Wie das vor sich geht, untersucht die Chronobiologie (s. ff. Quelle 2. & 3.). Sie beschäftigt sich mit regelmäßig ablaufenden physiologischen Prozessen, durch die Organismen optimal funktionieren. Das sind die biologischen Uhren.

Rhythmen im Takt vorhersagbarer Umweltzyklen sind dabei besonders erforscht. Das sind:

  • die Gezeiten,
  • die Tage,
  • die Mondmonate,
  • und das Jahr.

Verschiedene Lebewesen erzeugen genau diese Rhythmen endogen (aus sich selbst heraus) – also auch, wenn sie z. B. der Sonne oder der Flut gar nicht ausgesetzt sind!

Stellt man z. B. eine Mimose in einen dunklen Schrank, öffnet und schließt sie dort ihre Blätter – und zwar im gleichen Rhythmus, wie sie es auf ihrer Fensterbank machen würde. Das heißt, sie schläft in der Nacht, obwohl sie gar nicht prüfen kann, ob es draußen gerade dunkel ist oder nicht. Sie hat ihre eigene innere Uhr. Das dokumentierte man bereits 1729 (s. Quelle 4.).

Da solche Rhythmen oft nur annähernd den Zyklen der Umwelt entsprechen, heißen sie Zirka-Rhythmen. Wie z. B. die zirkadianen (ungefähr ein Tag dauernden) Rhythmen. Dazu gehört unser Schlaf-und-Wach-Rhythmus.

Wie die Mimose, würden auch wir ohne Tageslicht einem Tag-Nacht-Rhythmus von 24 Stunden folgen. Das hat man z. B. in den ‚Andechser Versuchen‘ getestet:

Dort zogen im Laufe einiger Jahre fast 400 Personen für jeweils mindestens vier Wochen in einen Bunker. Sie waren frei, ihren Tag zu gestalten – nur andere Menschen und Tageslicht gab es nicht. Trotzdem wurde der 24-Stunden-Rhythmus eingehalten. Zumindest ungefähr: der Durchschnitt lag bei 24,9 Stunden. Weitere Experimente ergaben 24,2 Stunden.

Violett blühende Mimose vor dunklem Hintergrund

Unsere inneren Uhren arbeiten zusammen

Während eines Tages wechseln wir aber nicht nur zwischen Wachsein und Schlafen. Jede einzelne unserer Zellen pendelt viel schneller zwischen verschiedenen Zuständen. Z. B. gibt es auch untertags weitere Zyklen, in denen wir aktiv oder entspannt sind. Wann genau, bestimmen die inneren Uhren der beteiligten Zellen. Ja, auch jede Zelle hat ihre eigene Uhr!

Damit alle Gewebe und Organe optimal zusammenarbeiten, müssen sie sich abstimmen; z. B. über Hormone. Während sich alle untereinander austauschen, wird das gesamte Uhrwerk von einer Uhr im Gehirn gesteuert: dem Suprachiasmatischen Nucleus (SCN).

Er beurteilt die Lichtintensität, die spezielle Zellen auf der Netzhaut unserer Augen aufnehmen. Über das Signal des SCN kommt die Information zur Tageszeit in den ganzen Körper.

Wozu wir innere Uhren im Alltag brauchen

Alles, was wir tun, erfordert einen bestimmten körperlichen Zustand. Wollen wir z. B.:

  • essen, müssen wir in der Lage sein zu verdauen;
  • laufen, müssen sich unsere Muskeln anspannen können;
  • ein Problem lösen, müssen wir klar denken können.

Damit alles bereitsteht, was wir dafür brauchen, trifft unser Körper Vorbereitungen – und die brauchen etwas Zeit. Jetzt kommen unsere inneren Uhren ins Spiel: sie bieten eine zeitliche Struktur, nach der entsprechende Ressourcen von sich aus bereitstellt werden. Dann können wir schneller darauf zugreifen, wenn wir möchten.

Wird z. B. morgens Licht wahrgenommen, wird schon vor dem Aufwachen verstärkt Cortisol ausgeschüttet, um uns auf das Aufstehen vorzubereiten. Mit der Dunkelheit am Abend, wird nach und nach Melatonin bereitgestellt, damit wir müde werden.

Aus dem Tiefschlaf in einer Minute hellwach zu werden, funktioniert nicht gut. Wenn das trotzdem sein muss, wie z. B. bei einer Notfallärztin, ist ein erheblicher Aufwand erforderlich.

Und der hat seinen Preis.

Frau mit weißem Oberteil lehnt neben Fenster an Wand und schließt die Augen

Was passiert, wenn wir unseren Biorhythmus ignorieren

Folgen wir dauerhaft unseren inneren Uhren nicht, sind wir häufig nicht nur müde, gereizt, unkonzentriert und erschöpft. Wir werden auch häufiger und früher krank. Dazu gehören z. B. folgende Krankheiten:

  • metabolische, wie Diabetes mellitus Typ 2,
  • kardiovaskuläre, wie Herzinfarkte,
  • gastronintestinale, wie Magen-/Darmentzündungen,
  • und psychische Probleme, wie depressive Phänomene und Schlafstörungen.

Insbesondere bei Schichtarbeiter*innen hat man ein signifikant erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten festgestellt.

Umso absurder ist es, dass wir eine Gesellschaft aufrecht erhalten, in der es die Regel ist, innere Uhren zu missachten. Z. B. weiß man seit Jahrzehnten, dass sich der Rhythmus Jugendlicher bis Anfang zwanzig um zwei Stunden nach hinten verschiebt. Der frühe Schulbeginn wird dennoch beibehalten – den Preis zahlen die Jugendlichen.

Als Erwachsene übergehen wir unsere inneren Uhren weiterhin. Vielleicht weil wir keinen Job finden, der uns genügend Gleitzeit ermöglicht. Vielleicht weil wir kleine Kinder haben.

Vielleicht aber auch, weil wir nicht wissen, dass es einen ganz eigenen Rhythmus in uns gibt, den es sich lohnt zu wahren.

Frau mit dunklen langen Haaren lehnt sich mit Oberkörper auf Balkonbrüstung in sehr hohem Stockwerk, im Hintergrund Straßen und Gebäude

Drei Tipps, wie du besser mit deinem Biorhythmus leben kannst

Lerne dich kennen

Die einen springen morgens um 5 Uhr fröhlich aus dem Bett und schlafen um 21 Uhr beim Gespräch am Küchentisch ein. Die anderen sind vor 11 Uhr nicht ansprechbar und dafür kreativ bis in die tiefste Nacht.

Dafür entscheiden wir uns nicht. Wir spüren schlicht unsere Gene. Nachteulen mit einem frühen Wecker zu quälen ist also genauso unpassend, wie frühe Vögel auf der Party als Langweiler*innen zu bezeichnen.

Für unsere individuellen Zeitmuster hat man versucht Kategorien zu bilden. Das sind die verschiedenen Chronotypen. Welchem Typen du am ehesten angehörst, kannst du z. B. mit einem Fragebogen testen. Michael Beus schlägt weitere Kategorien vor.

Um deinen Chronotypen wirklich zu kennen zu lernen, brauchst du aber mehr als einen Fragebogen. Es erfordert deine selbstzugewandte, liebevolle Aufmerksamkeit. Mit ihr kannst du dich selbst beobachten und dir z. B. folgende Fragen stellen:

  • Wann wache ich ohne Wecker, von alleine auf?
  • Nach wie viel Stunden Schlaf fühle ich mich ausgeschlafen?
  • Wann kann ich am Besten über komplizierte Dinge nachdenken?
  • Wann fällt mir Sport am Leichtesten?
  • Wann habe ich Hunger?
  • Wann werde ich müde?
  • Wie verbringe ich meine Mittagspause am liebsten?
  • Welche ultradianen (also länger als einen Tag dauernden) Zyklen beeinflussen mich, z. B. der Menstruationszyklus?
  • Wie wirken Jahreszeiten auf mich?
  • Wohne ich in der Nähe des Meeres und spüre die Gezeiten?
  • Was verändert sich, wenn ich früher oder später mehr esse?
  • Zu welchen Zeiten gehe ich Kompromisse ein, bleibe ich z. B. wach, obwohl ich müde bin?
  • Wann lerne ich am liebsten Neues?
  • Wann entspanne ich mich tagsüber am liebsten?

So lernst du deine inneren Uhren zu hören. Das funktioniert aber nur, wenn du dich über einen längeren Zeitraum selbst beobachtest. Z. B. zeigt sich erst nach mehreren Wochen ohne Wecker, ohne abendlichen Alkohol usw. dein eigentlicher Schlaf-Wach-Rhythmus.

Frau in schwarzem Kleid steht auf Weg in Park und hält lachend eine Hand auf ihr Herz

Folge deinen inneren Uhren

Erst wenn du weißt bzw. spürst, wann dein Körper dir welche Ressourcen zur Verfügung stellt, kannst du sie auch nutzen. Vielleicht kannst du früher oder später anfangen zu arbeiten. Oder statt morgens abends besser Sport machen usw..

Je mehr du deinen inneren Uhren folgst, desto leichter wird dir Vieles erscheinen. Du leidest dann weniger am sogenannten sozialen Jetlag (s. Quelle 5.).

Aber das geht nicht immer. Dann kannst du noch etwas versuchen: deine inneren Uhren beeinflussen.

Stelle deine inneren Uhren um

Da die Hauptuhr in uns sich nach den Lichtverhältnissen richtet. ist das die auch  die wohl wirksamste Möglichkeit deinen Rhythmus zu beeinflussen – zumindest etwas. Das bedeutet konkret: du machst dir helles Licht an!

Möchtest du später ins Bett gehen, gibt es am Abend länger Licht. Möchtest du früher aufstehen, machst du es dir morgens früher hell.

Und damit ist mehr als eine kleine Lampe gemeint. Es sollten mindestens schon ca. 10.000 Lux sein (s. Quelle 6.). Gut dafür geeignet sind Tageslichtlampen. Es gibt auch Tageslichtwecker. Sie simulieren dir vor dem Aufstehen schon die Dämmerung, damit die Kortisolausschüttung stattfinden kann.

Aber Achtung: Wenn du deine inneren Uhren so beeinflusst, solltest du den gewählten Rhythmus auch beibehalten. Sonst müssen sich alle Prozesse in deinem Körper immer und immer wieder neu anpassen und aufeinander abstimmen. Das funktioniert nicht gut und ist anstrengend.


Die Welt ist ein riesiges Orchester. Alles Leben flötet, paukt, geigt, trommelt und singt im eigenen Rhythmus. Dirigiert wird es von Sonne und Mond.

Wo bist du in diesem Orchester? Was ist dein Rhythmus?

Quellen

Hier gibt es weitere interessante Informationen:

  1. Hoyle, Nathaniel P. et al.: Circadian actin dynamics drive rhythmic fibroblast mobilization during wound healing, Science Translational Medicine, Vol 9/Issue 415/2017
  2. Roenneberg, Till / Klerman, Elizabeth B.: Chronobiology, Somnologie, 23/2019
  3. Birbaumer, Niels / Schmidt, Robert F.: Biologische Psychologie, 6. Auflage, 2006
  4. Staiger, Dorothee: Biologische Zeitmessung bei Pflanzen, Biologie in unserer Zeit, 3/2000
  5. Schlenger, Ralf: Sozialer Jetlag gefährdet die Gesundheit (Interview mit Till Roenneberg), MMW - Fortschritte der Medizin, 14/2017
  6. Wirz-Justice, Anna / Bromundt, Vivien: Lichttherapie, Schlaf 2/2013