Netz hängt hängt vor schwarzem Hintergrund und wird im Verlauf grün, violett, rot und orange beleuchtet

Was ist systemisches Coaching?

ZOYA und die praktische Theorie
Weiterlesen...

Inhaltsverzeichnis

Systemisches Coaching...?

Systemisch – ist das ein Schreibfehler? Jede Handy-Autokorrektur weiß es besser: es muss „systematisch“ heißen. Das wäre ja auch irgendwie logisch – Coaching, das sich an einer Systematik orientiert…

Stimmt. Aber noch besser ist Coaching das sich an Systemen orientiert. Daher hat systemisches Coaching seinen Namen: von den Systemen, mit denen Menschen zu tun haben.

Das klingt kompliziert und anstrengend. Muss es aber nicht sein. Im Gegenteil, es ist der freieste Ansatz für Beratung, Therapie und Coaching, den ich kenne. Er lässt dir den Raum, du selbst zu sein und noch immer mehr zu werden.

Ich erklär dir, was ich meine. Fangen wir mit den Systemen an:

Systemtheorie nach Niklas Luhmann

Kurzer Ausflug in die Soziologie

Ein berühmt-berüchtigter Vertreter moderner Systemtheorie ist Niklas Luhmann. Sein Lebenswerk ist eine soziologische Theorie mit der Gesellschaft erklärt werden kann. Nicht jeder systemische Ansatz bezieht sich auf ihn, aber er hat oft große Bedeutung für den theoretischen Hintergrund.

Viele herkömmliche Theorien untersuchen Gesellschaft indem sie davon ausgehen:

  • das Gesellschaft aus Menschen besteht,
  • die miteinander agieren.

Jene Systemtheorie Luhmanns ändert die Perspektive und stellt fest, dass:

  • Gesellschaft ein System ist,
  • das aus Kommunikation ensteht,
  • die wiederum zwischen Systemen stattfindet.

Der Blick geht damit weg vom Menschen, wie wir ihn gewöhnlich wahrnehmen, hin zur dem, was in einer Gesellschaft alles mit allem verbindet: Kommunikation.

Frau spricht in einer Runde von Frauen an verschiedenen Tischen in ein Mikrofon

Systeme sind überall

Systeme können alles mögliche sein: Familien, Organisationen, Staaten, Unternehmensabteilungen usw.. Genauso gibt es aber auch biologische oder psychische Systeme, die z. B. zusammen das ausmachen, was wir gewöhnlich unter einem Menschen verstehen.

Wichtig ist dabei, zu verstehen, dass Systeme darauf angelegt sind:

  • sich selbst zu erhalten
  • indem sie ihren eigenen Regeln folgen.

Ein System funktioniert nach seinen eigenen Regeln, stellt innere Strukturen her und organisiert sich selbst. Es hält sich selbst am Leben, indem es sein Bestmögliches tut, um für sich zu sorgen.

Stell dir dazu mal eine Familie vor – vielleicht deine eigene. Was gab oder gibt es da für Strukturen? Wie war oder ist euer Alltag organisiert? Welche ausgesprochenen oder unausgesprochenen Regeln gab oder gibt es? Das gehört alles dazu.

Diese Selbsterhaltung passiert innerhalb der eigenen, geschlossenen Grenzen. Trotzdem sind Systeme offen für einen Austausch mit ihrer Umwelt. Impulse, die sie aus der Umwelt erhalten, verarbeiten sie auf ihre eigene Weise. Die eine Familie geht vollkommen anders z. B. mit einem Einbruch in der gemeinsamen Wohnung um, als eine andere. Aber jede so, wie sie es für richtig und angemessen hält.

Luhmanns Systemtheorie ist ein Meisterwerk, dass auf sehr abstrakter Ebene ein Stück unserer Welt beschreibt. Ich kann seine Bücher sehr empfehlen – aber nur wenn du Spaß an abstraktem Denken hast :-). Du verstehst auch ohne sie, was der systemische Ansatz praktisch bedeutet.

Weiter zum nächsten Punkt: unsere eigene Wirklichkeit.

Alles selber gebastelt: Konstruktivismus

Sehr beeinflusst hat die Systemtheorie und systemische Ansätze der Konstruktivismus. Das bedeutet kurz gesagt: alles was du empfindest, denkst und fühlst, ist von dir selbst konstruiert. Jeden Baum, jeden Gegenstand in deiner Hand, jeden anderen Menschen, nimmst du auf deine deine Art und Weise wahr. Du nimmst immer eine bestimmte Art von Wirklichkeit wahr – nie allerdings eine einzig wahre, absolute: wir alle haben unsere eigene Wirklichkeit!

Was damit genauer gemeint ist und wie sie mit unserem Gehirn zusammenhängt, kannst du im nächsten Artikel über das Erschaffen unserer Wirklichkeit nachlesen!

Für jetzt ist wichtig, dass es im systemischen Coaching nicht um richtig oder ralsch geht. Es geht darum herauszufinden, was in deiner Wirklichkeit, für dich passend und angemessen ist.

Frau sitzt auf Felsen und schaut auf die Weite der darunterliegenden Landschaft

Grundsätze im systemischen Coaching – die systemische Haltung

Solche und ähnliche Ideen formen praktische systemische Ansätze in Beratung, Therapie und Coaching. Pioniere, waren Sozialarbeiter*innen und Familientherpeut*innen in den 1950er Jahren. Mit diversen Einflüssen aus verschiedenen Disziplinen und Forschungszweigen, gibt es heute unzählige verschiedene systemische Strömungen in der Praxis.

Folgende Aspekte sind typisch für eine systemische Haltung. Sie werden oft als Grundsätze für Therapeut*innen* oder Coaches formuliert – ich finde aber, sie sind besser Grundsätze für alle: für mich und für dich!

Es ist dein Leben – Autonomie

Du bist selbstbestimmt und Expert*in für dein eigenes Leben. Du kannst Impulse aus deiner Außenwelt prüfen und entscheiden, was du mit ihnen machst. Niemand kann dich selbst so spüren, wie du es kannst und niemand entscheiden, was „das Beste“ für dich ist. Meine Anregungen hier oder in unserer persönlichen Zusammenarbeit, sind Anregungen. Was du daraus machst ist deine Entscheidung!

Wo geht es weiter? Lösungs- und Ressourcenorientierung

Du musst Probleme nicht bis zum Umfallen analysieren und warten, bis sich dann durch vermeintliche Erkenntnis alles selbst zum Besseren wendet. Heben wir lieber unseren Blick und sehen uns zusammen an, wo sich Alternativen und Lösungen verstecken könnten.

Bedingungslos unterstützen dich dabei deine Ressourcen, also alles was dich auf deiner Seite stehen lässt. Das können deine Vorlieben, Freund*innen* oder Geld sein – es gibt immer etwas.

Mehr zu diesem Punkt findest du in einem weiteren Artikel!

Lösungen – Person sitzt auf einem Sofa und wirft einen Zauberwürfel in die Luft, vor einem roten Hintergrund

Wieder Sandburgen bauen und spielen: Neugier

Neugierig können wir nur sein, wenn wir nicht gerade von Hilflosigkeit und Ohnmacht überwältigt sind. Je größer das Problem erscheint, desto schwieriger also…

Trotzdem ist gerade die Neugier, etwas, das uns aufstehen und weitergehen lässt. „Hm, wenn ich das Problem – oder vielleicht mich selbst – auf den Kopf stelle, was passiert dann?“ In dieser Neugier ist etwas Spielerisch-Närrisches, dass dem Leben sehr zugewandt ist.

Um diese Qualitäten auch in schwierigen Situationen wiederzufinden, gibt es Experimente. Das ist alles, was du ausprobieren kannst, um deine Situation zu ändern. Z. B. jetzt sofort aufstehen und dich kräftig durchschütteln.

Und? Wie war’s?

Alles was du tust, kann zum Experiment werden: „wenn ich das mal so mache – was passiert dann?“. Alles. Kein Ergebnis ist vorbestimmt. Niemand kann dir sagen, was für dich gerade das Beste ist – nur du selbst, wenn du es dir erlaubst.

Kein Verurteilen: Neutralität und Wertschätzung

Moral und Tabus sind mit Scham verbunden. Scham verhindert klares Denken und Neugier. Es setzt den Körper unter unerträgliche Spannung bzw. lässt uns zusammensinken. Kontraproduktiv für jede Art von Lösungsversuch, oder nicht?

Also, bin ich neutral gegenüber deinen Problemen und Ideen und lade dich ein das auch zu sein. Was macht das aus, wenn du die Verurteilung aus deinem Blick auf deine Themen nimmst?

Ja, Neutralität hat auch Grenzen. Du wirst kein neutrales „Aha“ von mir hören, wenn du gerade Rachepläne für deine*n Ex schmiedest. Meine Meinung wirst du erfahren. Dennoch werde ich dich als Person in deinem Wert nicht verurteilen. Sehen wir uns lieber an, was du mit deiner Wut sonst sinnvolles anstellen kannst.

Alles hängt zusammen: Zirkulariät

  • Wo sind die Kreisläufe in denen du dich immer wieder verfängst?
  • Wie reagierst du auf was?
  • Und was hat das für Auswirkungen?

Wir sind unsere Wirklichkeit so gewöhnt, dass wir regelmäßig vergessen, dass man alles ja auch anders sehen kann. Das bedeutet Konstruktivismus praktisch! Stell dir vor: wie würde deine Freund*in deine Probleme beurteilen? Oder eine fremde Person auf der Straße?

Gelingt es dir herauszuzoomen und andere Perspektiven zu entdecken? Wir sind als Systeme mit anderen Systemen in Beziehung, was hängt wie zusammen?

Zwei Hände nebeneinander verschrenken jeweils den kleinen Finger miteinander

Systemische Coaching-Methoden

Je nach Strömung gibt es verschiedene Methoden, wie z. B. das Genogramm oder systemische Aufstellungen (bitte nicht nach Bert Hellinger).

Aber wie ich finde, die wichtigste Rolle in systemisches Ansätzen spielen spezifische Fragen. Fragen öffnen innere Räume. Ihr Ziel ist nicht zwingend eine Antwort, sondern das Erleben der Weite, die eine Frage in dir bewirken kann. In ihr können sich neue Wege entfalten.

Hier eine beliebte, typisch systemische Frage, die Wunderfrage:

Stell dir vor, du gehst heute Abend ins Bett. Während du ruhig schlummerst, kommt eine Fee bei dir vorbei und löst dein wichtigstes Problem. Wenn du morgen aufwachst, kannst du dich nicht an sie erinnern – du hast ja geschlafen. Woran also würdest du merken, dass dein Problem gelöst wäre? Was würde sich verändern:

  • in deinen Gedanken,
  • Gefühlen,
  • Körperempfindungen,
  • deinem Verhalten und
  • in deiner Umwelt?

Interessant und gar nicht so einfach, oder? Viel Freude beim Beantworten – spürst du, wie deine Welt weiter wird?

Wenn du noch mehr dazu lesen magst, gibt es hier auch noch etwas zum Konstruktivismus und zur Lösungs- und Ressourcenorientierung.

Quellen

Hier kannst du tiefer in die systemische Welt tauchen:

  1. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie, suhrkamp, 4. Auflage, 1991.
  2. Von Schlippe, Arist / Schweitzer, Jochen: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen, 2016.