Große Flamme vor schwarzem Hintergrund

Deine Wut ist deine Verbündete

Wut spüren heißt leben wollen
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Inhaltsverzeichnis

Mit deiner Wut leben vs. deine Wut loswerden

Du hast viele gute Gründe wütend zu sein. Du lebst in einer Welt, in der das meiste schief läuft. Gegen deinen Willen und nicht selten auf deine Kosten. Bitte sei wütend.

Du brauchst nicht noch einen Artikel, der dir Wut als gefährliches Gefühl verkauft. Du musst deine Wut nicht loswerden und stattdessen verständnisvoll lächeln. In diesem Leben geht es um etwas.

Unsere Kultur hat ein verkorkstes Verhältnis zur Wut. Sie ist verpönt und suspekt; kein Wunder, wenn man sie mit Gewalt gleichsetzt. Dabei ist Wut nicht der rasende Wutanfall. Fühlen und Denken ist nicht dasselbe wie Handeln.

In einer stabilen, bewussten Beziehung bekommt deine Wut ihren passenden Platz: als starke Partnerin an deiner Seite. Damit du dich für dich und das, was dir wichtig ist, einsetzen kannst. Du brauchst sie.

Ich möchte dir deine Wut schmackhaft machen. Sie wird dich beeindrucken. Mit ihr kannst du die Welt verändern.

Wut verstehen

Wut hat ein Ziel

Anmerkung: Ich folge der Theorie konstruierter Emotionen nach Lisa Feldman Barrett, weil sie mich wissenschaftlich überzeugt. Ich halte die Theorie für zeitgemäß und für die ideale Basis, um damit zu arbeiten. Das dazu passende Buch von Lisa Feldman Barrett  gibt es endlich auch auf Deutsch und ich empfehle es dir sehr.

Wut hat ein Ziel: Sie will es dir möglich machen, Hindernisse zu überwinden. Ein Hindernis ist alles, was einen Zustand herbeiführt, mit dem du nicht einverstanden bist.

Beispiel: Dein Mitbewohner hat, ohne dich zu fragen, deinen Erdbeerjoghurt gegessen und für dich ist nichts mehr übrig. Du bist wütend auf ihn.

Geht es dabei um Erdbeerjoghurt? Jein. Klar, es war dein Joghurt, jetzt hast du keinen mehr: blöd.

Viel mehr wird dich aber stören, dass er nicht gefragt und dreist deine Grenzen überschritten hat. Und du möchtest nicht jemand sein, deren Grenzen man einfach so überschreitet und der man etwas wegnimmt.

So wird das Verhalten deines Mitbewohners zum Hindernis und du bist wütend.

Wut macht dich bereit

Wut weist dich nicht nur darauf hin, dass etwas nicht passt: Sie gibt dir auch gleichzeitig noch Tipps, wie du das ändern könntest. Passend dazu bist du körperlich aktiviert und bereit:

Beispiel: Du öffnest den Kühlschrank, siehst, dass da kein Erdbeerjoghurt steht, stellst fest, dass es nur dein Mitbewohner gewesen sein kann und – bäm – dein Herz klopft, dein Atem wird schneller, vielleicht ballst du die Fäuste. Du stellst dir vor, wie du in sein Zimmer rast und ihn zur Rede stellst: unmissverständlich. Deine Grenzen wird der nicht mehr überschreiten!

Wut schützt dich und das, was dir wichtig ist. Dabei kann es um deine Unversehrtheit gehen, deine Würde, deinen Körper genauso wie um deine Schwester, deine Katze oder deine Wohnung. Sie kann sich auf die Natur beziehen oder auf Lebewesen, die du gar nicht persönlich kennst. Das macht sie auch zu der Emotion in Politik und Aktivismus.

Wut steht auf deiner Seite. Sie ist bedingungslos für dich da und unterstützt dich. Wut gibt dir Rückendeckung und darauf willst du nicht verzichten!

Wut und Gewalt

Wut gegen andere(s)

Wut mit Aggression und Gewalt gleichzusetzen, ist ein Missverständnis.

Natürlich kann Wut in Zerstörung münden. Das liegt aber nicht an der Wut, sondern daran, wie jemand mit den Tipps der eigenen Wut umgeht. Niemand muss einen wütenden Gedanken und Impuls umsetzen – machen wir ja sonst auch nicht, oder?

Beispiel: Du stehst wütend vor dem Kühlschrank und willst nur noch eines: ihn beleidigen. Und am besten schlagen. Dein Mitbewohner soll Schmerzen haben, emotional und damit er es wirklich versteht, auch noch körperlich. Das hat er verdient!? Du bist schon auf dem Weg zu ihm…an dieser Stelle: gehe schnurstracks in dein Zimmer oder noch besser aus der Wohnung und unternimm etwas, damit du keine Gefahr mehr für deinen Mitbewohner oder jemand anderen darstellst. Das ist deine Verantwortung. Wichtig: deine Wut an sich kannst du trotzdem behalten!

Emotionen sind von uns selbst konstruierte Konzepte und nicht immer der Situation angemessen. Sind deine Emotionen grundsätzlich wenig ausdifferenziert und du hast Stress, ist das ungünstig. Dann schießen sie schnell übers Ziel hinaus, sind völlig fehl am Platz – oder tauchen gar nicht erst auf.

Vermutlich liegt das daran, dass du in deinem Leben bisher nicht die Möglichkeit hattest, fein abgestimmte, für dich passende Emotionskonzepte aufzubauen. Das ist schade, befreit dich aber nicht von deiner Verantwortung: Du bist an der Reihe, das jetzt zu lernen.

Wut gegen dich selbst

Das Gleiche gilt auch dann, wenn sich Wut gegen dich selbst richtet. Eine Seite in dir steht einer anderen Seite in dir gegenüber und faucht sie an. Auch hier trägst du die Verantwortung: in diesem Fall für die Wünsche und Grenzen beider innerer Seiten!

Wütend auf dich zu sein, wird zum Problem, wenn du nicht fair bleibst. Nur du könntest dem etwas entgegen setzen und wenn du das nicht tust,, kann das schnell in Selbsthass und Selbstverletzung umschlagen.

Auch hier geht es wieder nicht um die Wut an sich, sondern darum, was du damit machst. Keine Autoaggression!

Ein passender Umgang mit Wut

ich fasse noch einmal zusammen:

  1. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen deiner „Wutkraft“, die sich für das einsetzt, was dir wichtig ist und der Ebene deiner Handlungen. Wut zu fühlen, ist absolut und immer in Ordnung. Sie weist dich auf etwas hin und bietet dir ihre Unterstützung an. Top.
  2. Was du mit der freigesetzten Energie und ihrem Rat machst, ist deine Entscheidung. Dafür ist niemals jemand anderes verantwortlich.

Wie kommst du nun zu dieser stabilen, klaren Beziehung, die deine Wut zu deiner starken Partnerin werden lässt?

Wut spüren

Emotionen haben ihre Basis nicht nur im Gehirn, sondern im gesamten Körper. Das heißt, bestimmte Muster von Körperhaltung, Atmung und Muskelspannung passen besser als andere zum jeweiligen Ziel einer Emotion.

Zu Wut passt z. B. oft besonders gut ein stabiler Stand, eine aufrechte, breite Haltung, ein starker Atem und gut durchblutete, lebendige Hände, Arme und Schultern.

Was spürst du, wenn du wütend bist? Wo spürst du deine Wut? Wie hältst du deinen Körper, wie atmest du so, dass es deiner Wut entspricht?

Das ist dein Einstieg, um mit Wut innerlich zu arbeiten: deine Wut im Körper zu spüren. Ganz neutral, ohne damit etwas machen zu wollen. Mit dem Spüren lernst du diese Kraft in dir zu genießen. Mit der Zeit wirst du bemerken, wie nah Freude und Wut beieinander liegen.

Dieses Spüren hat einen wichtigen Grund: du lernst dich als handlungsfähig zu erleben.

Wut als Handlungsfähigkeit

Wut ist das Gegenprogramm zu Hilflosigkeit und Ohnmacht. Das ist ihr Sinn: dich handlungsfähig zu machen.

Damit das nicht theoretisch bleibt, ist es wichtig, dass du dich handlungsfähig erlebst. Nicht nur einmal, sondern viele Male. So oft, dass du dich daran gewöhnst. Das gelingt dir, indem du das Spüren deiner Wut kultivierst.

Danach folgt die zweite Ebene: diese Handlungsfähigkeit auch im Außen zu nutzen. Z. B. um in einem Gespräch mit deinem Mitbewohner deine Grenzen zu setzen – ohne zu beleidigen oder flüsternd klein beizugeben.

Auch das kannst du üben und es wird dir umso leichter fallen, je vertrauter dir deine Wut ist. Du wirst sie klar spüren können, dir ihre Vorschläge anhören und fähig werden, das zu wählen und umzusetzen, was dir und der Situation entspricht.

Das wiederum verbessert deine Wutkonzepte: Du bekommst passendere Tipps von deiner Wut und wirst schneller darin sein, adäquat zu handeln.

Dein Selbstbild wird sich ändern. Mit Wut wirst du dich seltener hilflos erleben. Du wirst häufiger wach und klar bleiben. Sie wird dich unterstützen, wieder auf die Beine zu kommen, wenn dich etwas überwältigt hat. Wut unterstützt dein Selbstvertrauen und bringt dich deinem Selbstwert nahe.

Mit Wut die Welt verändern

Wut ist für dich da und hilft dir, für das einzustehen, was dir wichtig ist. Mit ihr kannst du Hindernisse überwinden und sie macht dich dafür handlungsbereit.

Du musst sie nicht loswerden oder rauslassen. Indem du deine Wut in deinem Körper spürst, lernst du dich handlungsfähig zu erleben. Das ist der erste Schritt für eine stabile Beziehung zu deiner Wut.

Von dort aus kannst du lernen, mit Wut klar für dich einzustehen. Du beginnst, die Welt zu verändern. Und das ist dringend nötig.