Schwarzer, toter Ast mit abgebrochenen Zweigen vor grauem Himmel

„Ich fühle mich einsam“ – was du dagegen tun kannst

Wie Einsamkeit entsteht und wie du sie überwindest
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Inhaltsverzeichnis

Einsam oder alleine?

Du fühlst dich einsam und jemand rät dir: „geh mal unter Leute“ – wirkt das nicht wie blanker Hohn?

Einsamkeit ist eines der leidvollsten Gefühle und viel zu komplex für diesen Tipp. Einsam kann man auch in einer Menschenmenge sein oder beim Geburtstag der besten Freundin. Alleine zu sein oder sich einsam zu fühlen, sind eben nicht das Gleiche.

Lass uns also zuerst beides sauber voneinander trennen, um uns näher damit zu beschäftigen:

Alleine sein

Alleinsein beschreibt Zweierlei: erstens mit sich selbst alleine zu sein, und zweitens die Abwesenheit von anderen Lebewesen, also Menschen, aber auch z. B. einem Hund.

Alleine sind wir alle in gewisser Weise: Das eigene Erleben wird immer nur das eigene bleiben. In diesem individuellen Erleben werden wir alleine geboren, leben und sterben wir alleine. Insofern ist alleine mit sich selbst zu sein eine tiefe menschliche Erfahrung und kein Problem, das es zu lösen gilt.

Die Abwesenheit anderer hat eine erholsame Seite: „endlich mal Ruhe“. Zwar ist das unangenehm, wenn uns eigentlich gerade nach Gesellschaft wäre. In der Regel ist es aber für eine gewisse Zeit akzeptabel – es sei denn, es vermischt sich mit Einsamkeit, dann wird es schwierig.

Einsam sein

Einsamkeit definiere ich als das Gegenteil von erlebter Verbindung; oft dicht gefolgt davon, sich verloren, verlassen oder verraten zu fühlen. Unter Einsamkeit kann man jederzeit leiden, unabhängig von der Außenwelt. Es ist ein Gefühl und somit von uns selbst innerlich hergestellt.

Wie ist das, einsam zu sein und was ist daran so unerträglich?

Einsamkeit als Gegenteil von Verbundenheit

„Ich fühle mich einsam“ – was bedeutet das?

Wie erlebst du Einsamkeit? Ähnlich wie ich?

Für mich ist das schrecklich. Ich bleibe schnell in Gedanken hängen, die immer zäher und destruktiver werden. Es wird schwer, kalt, starr und merkwürdig taub in meinem Körper. Ich fühle mich innerlich leer und in meiner Verzweiflung gibt es keine Unterstützung, alles wirkt sinnlos. Nichts erreicht mich und ich erreiche nichts. Echter Kontakt zu anderen ist kaum möglich, selbst wenn jemand da ist.

Bin ich verbunden, ist alles anders: mein gesamter Körper ist warm und wohlig, ich fühle mich sicher und präsent. Schwierige Themen lassen mich nicht verzweifeln, meine Gedanken bleiben klar. Ich bin mir meiner Beziehungen bewusst und kann auch mit fremden Menschen gut in Kontakt gehen. Das fühlt sich nach Leben an und ist die Basis für meinen Alltag.

Zum Glück weiß ich mittlerweile, was ich tun kann, wenn ich aus meiner Verbundenheit herausfalle: mich wieder auf den Weg zu mir selbst machen.

Darum geht es hier an erster Stelle:

Verbundenheit mit sich selbst

Niemand kann uns vor Einsamkeit bewahren, wir selbst aber können uns zurück ins Leben hinein verbinden – und zwar nur wir selbst. Auch wenn uns andere Menschen dabei unterstützen: sind wir nicht offen dafür, bleibt die freundlichste Umarmung letztlich wirkungslos.

Genau wie Einsamkeit ist Verbundenheit nichts Theoretisches, sondern wird praktisch erlebt. Erleben geschieht über die Sinne und den Körper. Darum ist es der unmittelbare Weg dort anzusetzen, um zu dir zurück zu finden. Beginne nicht beim Denken, sondern beim Spüren.

Erste Hilfe bei Einsamkeit

Um dich mit deinem Körper zu verbinden, berühre ihn. Kräftig, entschlossen, aber freundlich. Bewege dich frei, wecke dich auf. Sei nicht zaghaft, verstehe es so, als würdest du dich wiederbeleben – von den Zehen bis zu Nasenspitze.

So aufgeweckt und warm hast du die besten Voraussetzungen, um wieder in Verbindung mit der Außenwelt zu treten: Beginne bei Gegenständen, Pflanzen und Tieren. Berühre deine Teetasse, deine Fensterbank, die Blätter deiner Palme, lass einen Marienkäfer über deinen Finger laufen und streichle deine Katze.

Was spürst du, wenn du dich zurück verbindest? Beobachte das.

Du holst dich zuerst wieder ins Leben und öffnest dich dann innerlich für die Außenwelt. Von dort aus kannst du beginnen, dich mit der Verbindung zu anderen Menschen zu beschäftigen.

Einsamkeit und Beziehungen

Mit Verbindungen zu anderen Menschen ist das oft nicht so einfach, denn die ersten Erfahrungen mit Einsamkeit entstehen immer in Beziehungen. Das bedeutet, dass im Kontakt schnell Sorgen in uns berührt werden, wie z. B. wieder verlassen, ausgeschlossen oder verraten zu werden.

Damit bist du nie alleine. Auch wenn es in unseren einsamen Gedanken so scheint, als würden nur wir uns so verloren fühlen: Das ist ein kollektives Phänomen. Vielen anderen geht es ganz genauso:

Einsamkeit in unserer Kultur und Gesellschaft

Machen wir uns nichts vor: in erster Linie sind wir Säugetiere. Wir sind dazu angelegt, im Kontakt mit anderen Säugetieren zu sein. Dazu zählen sicherer Körperkontakt, Austausch und gemeinsames Sein.

Das sollte selbstverständlich zu unserem Leben gehören – tut es aber selten. Fehlt dir das, passt das also sehr gut zu deinem Dasein als Mensch. Es ist gewissermaßen eine in der Evolution begründete Sehnsucht, die auch die Verbindung zu dir selbst nicht kompensieren kann.

Ohne tragende Gemeinschaft werden wir anfällig für faule Kompromisse: „wenigstens eine schiefe Beziehung als gar keine“. Die schlechte Qualität von Beziehungen wird zur Normalität und Kinder wachsen in diesen Mangel hinein.

Diese kollektiv erlebte Einsamkeit hat tiefe Wurzeln, die wir in unserer eigenen Lebensgeschichte finden können:

Einsamkeit in der Kindheit

Einsamkeit als Tod

Erschütterungen in Beziehungen, insbesondere in den ersten Jahren unseres Lebens, prägen, wie sicher oder unsicher wir Kontakt mit anderen Menschen grundsätzlich empfinden.

Je öfter wir uns damals verlassen und abgewiesen gefühlt haben, desto schneller passiert das auch heute noch. Jeder schiefe Blick, jeder Konflikt oder die Abwesenheit einer anderen Person, holen das Erleben von damals zurück.

Brisant ist das deshalb, weil alleine gelassen zu werden als Kind, tatsächlich eine Lebensbedrohung darstellt. Für ein kleines Kind ist Alleinsein also gleichbedeutend mit Einsamkeit und Einsamkeit mit Todesangst.

Vermeiden von Einsamkeit als Kind

Ein Kind versucht darum zunächst alles, um einen Beziehungsabbruch zu vermeiden. Oft bedeutet das, dass es sich anpasst und so verhält, dass das Gegenüber sich nicht abwendet. Eigene Bedürfnisse und Wünsche werden in den Hintergrund geschoben, wichtig ist nur noch die Beziehung und das Gegenüber.

Zum Überleben funktioniert das oft gut, aber zu einem hohen Preis: Beziehung geht nur, wenn man sich selbst zurückstellt und nicht zeigt. Mit sich selbst verbunden zu sein wird zum Ausschlusskriterium, um Verbindung zu anderen zu erleben.

Entweder wir oder ich.

Einsamkeit im Erwachsenenalter

Keine Verbindung zu uns selbst

Werden derartige Erfahrungen nicht integriert und aktualisiert, bleiben sie bis ins Erwachsenenalter präsent. Da Einsamkeit den Aspekt von Todesangst weiterhin in sich trägt, bedeutet das nach wie vor erheblichen Stress.

Darin verlieren wir unmittelbar die Verbindung zu uns selbst und unserem körperlich-sinnlichen Erleben. Aus dieser Trennung von unserer Innenwelt folgt die typische innere Leere bei Einsamkeit.

Keine Verbindung zu anderen

Gleichzeitig können wir so betäubt keinen erfüllten, echten, tiefen Kontakt mit anderen mehr herstellen – auch die Außenwelt wird unerreichbar.

Gelingt es nicht, Kontakt anders zu gestalten, bleiben Beziehungen dementsprechend unsicher.

Kontakt oder Todesangst

Für manche*n Erwachsene*n ist dann eine unpassende Beziehung trotzdem noch besser, als alleine zu sein: wenigstens etwas lebendig und sicher fühlt es sich an, wenn noch irgendjemand da ist. Umso wichtig wird das, je weniger eine tragfähige Verbindung zu sich selbst besteht. Im Alleinsein wird die Einsamkeit übermächtig.

Kein Kontakt, dafür mit sich verbunden

Andere sind lieber alleine. Sie können dann immerhin Verbindung zu sich selbst aufnehmen und wollen das auch bewahren. Kontakt hingegen fühlt sich danach an, sich auszuliefern. Einsamkeit zeigt sich paradoxerweise vorwiegend im Beisein von anderen Menschen.

 

Beides ist anstrengend, tragisch und führt dazu, dass wir uns unlebendig, abhängig oder bedrängt fühlen. Egal, wo du dabei stehst: Beziehung kann man lernen. Dich mit dir zu verbinden und diese Verbindung zu halten, ist dafür der Schlüssel.

Einsamkeit zu überwinden ist möglich und lohnt sich

Halten wir fest: Einsamkeit ist tief verwurzelt mit unserer individuellen Geschichte und spiegelt sich kollektiv in unserer Gesellschaft wider. Echte tiefe Beziehungen brauchst nicht nur du, sondern wir alle: Sie sind der Stoff, aus dem Gemeinschaft gemacht wird.

Statt „mal unter Leute zu gehen“ ist es sinnvoller, zuerst die Verbindung zu dir selbst aufzubauen. Und zwar, indem du dich auf dein körperlich-sinnliches Erleben konzentrierst und dich auf diesem Weg zurück ins Leben holst. Aber das ist nur der erste Schritt.

Als Säugetier brauchst du Verbindung zu anderen. Auch wenn du mit deinen Beziehungen bisher eher unzufrieden bist: Stabil verbunden mit dir selbst, kannst du Schritt für Schritt sichtbar und präsent in Kontakt mit anderen Menschen kommen. Dabei wirst du erfahren, wie es ist, sich dabei wohl und sicher zu fühlen.

Ich danke dir sehr für dein Interesse und dafür, dass du dich auf den Weg aus der Einsamkeit machst, um dein Leben, und damit das Leben für uns alle, erfüllter werden zu lassen.