Ältere Frau mit Basthut, roter Strickjacke vor türkiser Wand

Angst vorm Altern? Nein!

ZOYA und die Chancen
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Inhaltsverzeichnis

Wann sind wir alt?

Stell dir vor du, du hast morgen deinen 78. Geburtstag. Du hast weiße Haare und Falten. Du bist gesund, fühlst dich wohl. An manchen Tagen tut dir die Hüfte weh. Du hast Freude am Leben und freundliche Menschen in deinem Umfeld.

Für deine Geburtstagsfeier gehst du einkaufen. Es soll ein ganz besonderes Buffet geben.

An der Feinkost-Theke schreit dich die Verkäuferin wohlmeinend an. „Was möchten Sie?“ artikuliert sie sorgfältig. Du seufzt: „Ich höre Sie. Ich hätte gerne 200 Gramm schwarze Oliven.“

Später an der Kasse stellt sich hinter dir niemand an. Die Zeit zu warten, bis du deine Einkäufe wieder in deinen Wagen gelegt hast, scheint niemand zu haben. Obwohl du noch das falsch herausgegebene Wechselgeld reklamierst, ist der junge Mann an der Kasse neben dir langsamer.

Als du zu deinem Fahrrad gehst, kreuzt eine junge Frau absichtlich deinen Weg. „Pass doch auf, Oma“, schnauzt sie dich hämisch an. Das Fahrradfahren schmerzt heute in der Hüfte mehr als sonst. Du bist langsam. „Vielleicht haben sie recht. Ich bin eben doch einfach alt“, denkst du dir.

Keine Lust älter zu werden?

Liegt es wirklich am Alter?

Zwei ältere Frauen, eine mit Fahrrad, unterhalten sich auf der Straße miteinander

Angst älter zu werden – was unser Umgang mit dem Altern über uns aussagt

Altersdiskriminierung zeigt wie jede Diskriminierung vor allem eins: wir haben Angst. Kein Wunder, denn das Altern bringt zwei Aspekte mit sich, die wir kaum ertragen:

  1. Der Tod rückt näher.
  2. Unsere Gebrechlichkeit steigt.

Die Bewusstheit über den Tod kann uns im besten Fall noch das Leben auskosten lassen. Aber Gebrechlichkeit?

In unserem Gesellschafts-Paradigma bekommt das eigene Sein erst einen Wert, wenn wir leisten, können und schaffen. Natürlich wird es dann zum Alptraum, wenn Treppensteigen schwierig wird.

Geht das bitte auch anders?

Am Anfang steht – wie immer – unsere Sicht auf die Welt. Denn wir entscheiden, was zum Problem wird. Älterwerden muss es nicht sein. Weder das eigene noch das anderer.

Ältere Frau mit getönter Brille und Kopfbedeckung von der Seite

Was es bedeutet, alt zu werden

Altern kann unangenehm sein. Daran besteht kein Zweifel. Für einen frischen Blick auf das Alter brauchen wir biologische Bedingungen nicht zu romantisieren. Aber wir können sie uns genauer ansehen und uns überraschen lassen:

Einfluß auf deine Gesundheit

Wir altern unterschiedlich schnell. Das heißt, die Veränderung unserer Zellen läuft individuell ab. Ein Faktor sind die Gene. Sozusagen das Blatt Karten, das wir bei unserer Zeugung ausgeteilt bekommen.

Viel interessanter ist allerdings der Faktor, was wir daraus machen. Welche unserer Karten wir auf welche Weise spielen. Dabei sind Umweltbedingungen und unser Verhalten bzw. Erleben entscheidend.

Biologisch kann man das an den Teilen an bzw. um unsere DNA herum erkennen. Die Epigenetik, so nennt sich dieses Forschungsgebiet, zeigt, dass wir durch das, was wir tun, tatsächlich beobachtbare Veränderungen in unseren Zellen bewirken. Es macht einen biologisch beobachtbaren Unterschied, ob du täglich durch den Wald läufst oder stattdessen in deinem Sofa versinkst (siehe Quelle 1.).

Das bedeutet, ob du dreißig oder siebzig bist: es ist relevant, wie du deinen Alltag gestaltest. Das heißt nicht, dass du nie krank oder besonders bedürftig bist oder werden wirst. Aber es heißt, dass du dem, was auf dich zukommt etwas entgegenhalten kannst: deine Gesundheit (siehe Quelle 1.).

Frau grauen Haaren und blauem Badeanzug geht in hellblauem See schwimmen

Einfluß auf dein Erleben

Obwohl das Altern einen Einfluss auf deinen Körper und dein Erleben hat, hast du die Wahl deinen Fokus zu lenken. Altern ist Veränderung, nicht bloß Zerfall.

Becca Levy hat nach vielen interessanten Experimenten die Stereotype Embodiment Theory (SET) aufgestellt (siehe Quelle 2.).Wichtige Bestandteile sind unter anderem:

  1. Altersstereotype bilden sich bereits in der Kindheit (!) und werden im Laufe des Lebens durch dazu passende Quellen, wie z. B. der Darstellung im Fernsehen, verhärtet. Unser Blick auf das Alter ist zu jedem Zeitpunkt entscheidend.
  2. Die verinnerlichten Stereotype werden im Laufe der Zeit zu Selbststereotypen. Während bei anderen Stereotypen betroffenen Personen immer „die Anderen“ (z. B. BIPoC oder LGBTIQA+) bleiben, gehört man im Laufe der Zeit zwangsläufig selbst zu „den Alten“ – außer natürlich man stirbt früh.
  3. Die Stereotypen wirken bewusst und unbewusst. Die verheerenden Wirkungen unserer Vorurteile treffen uns selbst und andere mit voller Wucht. Sogar unbewusst.

Auffallen tun uns unsere Vorurteile allerdings kaum. Denn unsere Annahmen über das Alter und die unseres Umfelds gleichen sich. Sie sind kulturell verankert. Da „kann man nicht mehr so gut, das ist halt so“.

Ellen Langer hat eindrucksvoll gezeigt, wie sehr das in die Kategorie (Selbst-)sabotage fällt (siehe Quelle 3.). Sie lud im Jahr 1979 eine Gruppe 70 - 80-jähriger Männer zu einem außergewöhnlichen Experiment ein: sie gingen auf Zeitreise zu ihrem 20 Jahre jüngerem Ich und verbrachten eine Woche lang ihren Alltag noch einmal im Jahr 1959. Sie wohnten in einem Haus, das ganz den damaligen Gegebenheiten angepasst war. Fernsehsendungen, Einrichtung, Magazine stammten aus der vergangenen Zeit. Die Ausweise der Teilnehmer wurden mit einem Foto aus dieser Zeit ausgestattet.

Die Auswirkung: die Teilnehmer „verjüngten“ sich! Diverse gravierende Effekte ließen sich nachweisen, z. B. die Steigerung von Sehkraft, körperlicher und geistiger Beweglichkeit. Die Männer wiesen messbare, erhebliche physiologische Veränderungen nach nur sieben Tagen auf (siehe Quelle 3.).

Nimm dir eine Minute und stell’ dir das vor: du tust so, als ob du jünger wärst und plötzlich bist du deutlich fitter. Faszinierend, oder?

Und jetzt stell’ dir vor, du bräuchtest keine Zeitreise dafür.

Genau da liegt der Gestaltungsspielraum für dein Leben!

 

Einstellung ist Altersvorsorge

Interessiert dich alles nicht wirklich, denn du bist ja noch jung und fit? Schade, denn dann:

  1. wird dein Altern und Alter vermutlich deutlich weniger genußvoll und fröhlich (siehe Quelle 3.);
  2. wirst du mindestens unbewusst ältere Menschen in deinem Umfeld diskriminieren (siehe Quelle 4.);
  3. steigt z. B. die Wahrscheinlichkeit, dass du deutlich früher kardiovaskulär erkrankst (siehe Quelle 5.).

Deinen Blick auf das Alter(n) zu überprüfen und zu verändern ist nicht nur ein Teil deiner Altersvorsorge. Er ist auch genau jetzt für deinen zuversichtlichen, gelassenen Blick in die Zukunft entscheidend.

Bereit etwas zu ändern?

Los geht’s:

Ältere Frau guckt lächelnd aus Fenster mit Fensterläden

So änderst du deinen Blick aufs Alter(n)

Wie gelingt es dir, deine Perspektive zu wechseln?

  1. Beobachte dich.
    Was denkst du über die alte Dame aus dem 1. Stock? Wie behandelst du den Herrn vor dir im Supermarkt? Nimmst du die Menschen ernst? Auch jemanden „süß“ zu finden, ist nicht unbedingt wertschätzend.
  2. Kontakt zu älteren Menschen pflegen.
    Sofern du die Möglichkeit dazu hast. Was würdest du wahrnehmen, wenn du dir vorstellst, diese Person wäre 20 Jahre jünger?
  3. Experimentiere mit deiner Körperhaltung.
    Setz dich auf dein Sofa, als wärst du 90 Jahre alt.

    Probier’s aus. Jetzt.

    Und, wie fühlst du dich? Wie sitzt du? Typisch ist z. B. dass du die Schultern beugst, dein Atem flacher und deine Bewegungen steifer werden lässt. Wie ist das bei dir?

    Dann probiere die gleiche Vorstellung nochmal aus, aber diesmal mit aufgerichtetem Brustbein, etwas weniger steif usw.. Wie fühlst du dich jetzt? Es geht darum dich selbst körperlich mit deinen Stereotypen zu erfahren und zu spüren, was sie bewirken – sogar jetzt, wenn du nur damit spielst…
  4. Suche dir Gegenbeweise für deine Vorurteile.
    Wie kann Alter(n) anders sein, als du es dir vorstellst? Wer könnte ein Vorbild sein? Filme, Bücher, Erzählungen, persönlicher Kontakt.Es geht darum, deinem Gehirn andere Bilder zu zeigen, damit Alternativen vorstellbar werden! Ein Blick in andere Kulturen kann dabei helfen…

Viel Spaß beim Experimentieren und auf ein fröhliches Alter(n)!

Quellen

Hier findest du lesenswerte Artikel und Bücher:

  1. Spork, Peter: Gesundheit ist kein Zufall. Wie das Leben unsere Gene prägt. Die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik. 2017.
  2. Levy, Becca R.: Stereotype Embodiment: A Psychosocial Approach to Aging. Current Directions In Psychological Science, 18/2009.
  3. Langer, Ellen: Die Uhr zurückdrehen? Gesund alt werden durch die heilsame Wirkung der Aufmerksamkeit. 2011.
  4. Cuddy, Amy J. C. et al.: This old stereotype: The pervasiveness and persistence of the elderly stereotype. Journal of Social Issues, 61/2005.
  5. Levy, Becca R. et al.: Age stereotypes held earlier in life predict cardiovascular events in later life. Psychological Science, 20/2009.