Dunkelblonde Frau zieht gestreiften großen Schal hoch ins Gesicht bis zu ihren braunen Augen

Schuldgefühle loslassen – was du dafür verstehen solltest

ZOYA und ein Leben ohne Schuldgefühle
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Inhaltsverzeichnis

Die alltägliche Schuld

„Sorry, darf ich mal…oh, Verzeihung…das tut mir Leid…Entschuldigung!“

Andere um Erlass der eigenen Schuld zu bitten ist etwas Alltägliches. Für eine verspätete E-Mail, ein unachtsames Wort, die vergessene Verabredung. Entschuldigen kann man sich eigentlich ständig, ob nun aus Reue oder vorsorglicher Höflichkeit – es findet sich immer etwas.

Ist es nicht faszinierend, wie selbstverständlich das für uns ist?

Schuldgefühle loslassen – wozu eigentlich?

Und dahinter steckt viel mehr als  „der gute Ton“ im Miteinander: es geht um den subtilen, impliziten Druck stets darauf zu achten, dass wir uns „unschuldig“ verhalten – im Zweifel lieber angepasst, unauffällig, zurückhaltend und brav.

Und hier liegt das erste Problem: das sind Spuren eines pessimistischen und unterdrückenden Menschenbildes. Der Mensch ist im Grunde schlecht, sündig, egoistisch, triebgesteuert und da sollte mal lieber aufpassen: am Ende macht man sich noch schuldiger als man ohnehin schon ist! Vor allem wenn du stark religiös geprägt bist oder Erfahrungen mit einer destruktiven Gruppe gemacht hast, kennst du das vielleicht besonders gut.

Bitte verstehe mich hier nicht falsch. Ich bin nicht dafür, dass wir als unfreundliche Monster durch die Welt trampeln und uns nicht darum kümmern, welche Scherben wir hinterlassen. Aber Schuldgefühle sind gewiss nicht das, was uns davon abhält.

Das meine ich damit:

Spinnennetz mit kleinen Wassertropfen vor grünem Hintergrund

Was Schuldgefühle nicht bewirken

Schuldgefühle wirken nicht präventiv

Ein schlechtes Gewissen wirkt zwar auf dein Verhalten. Aber nicht zwangsläufig indem du unterlässt, wofür du dich schuldig fühlst. Du versuchst stattdessen danach, wieder gut zu machen, was du verbrochen hast. Du faltest dich innerlich zusammen und fühlst dich schlecht dabei.

Beispiel: Schuldgefühle nach Fremdgehen

Maja geht fremd und hat Schuldgefühle. Sie organisiert aus schlechtem Gewissen sogar einen Kurzurlaub mit Dave. Es fühlt sich schrecklich an und sie kann es kaum genießen. Ihre größte Angst ist, dass ihr eigentliches Motiv ans Licht kommt: ihre Schuld. Dreimal schlafen, Urlaub vorbei, geschafft.

Wird ihr Schuldgefühl sie zuverlässig in Zukunft davon abhalten fremdzugehen? Nicht unbedingt. Denn das Fremdgehen ist gar nicht ihr Problem. Das war aufregend und irgendwie lebendig, wenn sie ehrlich ist.

Problem sind alleine die Schuldgefühle und denen wird sie künftig gekonnt aus dem Weg gehen: sie wird keinen Urlaub mehr organisieren und sich die Tortur lieber sparen. Vielleicht wird sie sich das Fremdgehen auch irgendwie als gerechtfertigt hinbiegen, schließlich hat Dave ja auch nie Zeit…

Als Präventionsmittel sind Schuldgefühle sehr unzuverlässig und ungeeignet.

Schuldgefühle sind kein Mitgefühl

Aber sind Schuldgefühle nicht wenigstens ein Ausdruck von Mitgefühl mit unserem „Opfer“? Und sind sie nicht für eine Wiedergutmachung sinnvoll? Nein, sieh her:

Beispiel: Schuldgefühle nach Streit

Maja beleidigt Dave im Streit. Dave fühlt sich sehr verletzt und Maja schrecklich. Sie fängt an, sich zu entschuldigen. Es zieht unerträglich in ihr, weil sie etwas falsch gemacht hat. Sie lässt sich alles mögliche einfallen, backt einen Kuchen, kauft Konzertkarten…

Ist doch nett, oder?

Person streckt eine Schokoladentorte auf ihren Händen liegend ins Bild

Jein.

Sehen wir mal genauer hin: während sie Kuchen essen, achtet Maja genau auf jedes Anzeichen dafür, dass Dave ihr vergeben hat. Alles, was sie sagt und tut, richtet sie auf ein Ziel aus: möglichst bald zu sehen, dass sich Daves Stimmung und Gefühle geändert haben.

War da ein Lächeln? Ah gut, Erleichterung. Ist endlich wieder alles gut zwischen uns? Wunderbar.

Kommt dir das bekannt vor? Das ist kein Ausdruck von tiefem Mitgefühl! Das ist ein verzweifelter Versuch, _sich selbst_ besser zu fühlen. Es geht Maja nicht um Dave, es geht ihr vorrangig um sich selbst!

Das heißt nicht, dass Maja Dave nicht liebt. Es heißt aber auch nicht, dass Maja sich in dieser Situation auch nur ein einziges Mal tatsächlich in Dave hinein gefühlt hat, um für Dave da zu sein. Es geht ihr darum, die eigenen Schuldgefühle zu beruhigen.

Nun, was aber könntest du stattdessen tun?

Anders mit Schuldgefühlen umgehen

Lernen präsent zu bleiben

Statt dich in Selbstvorwürfen und Schulgefühlen zu verlieren, könntest du präsent im Moment bleiben:

  • Du bleibst bei den Gefühlen deines Gegenübers.
  • Du bleibst bei deinen eigenen Gefühlen.
  • Du bleibst bei dir und lässt gleichzeitig dein Gegenüber dein Dasein spüren.
  • Du spürst, was gerade passiert.

Das ist das Mutigste und gleichzeitig Schwierigste, für das du dich entscheiden kannst. Denn du stehst dabei zu dir selbst: „Ja, so war das, ja, genau das wollte ich in diesem Moment, ja, an dich habe ich dabei nicht gedacht“.

Und gleichzeitig kannst du so etwas sagen wie: „Jetzt sehe ich, wie nahe dir das geht. Jetzt verstehe ich, wie rücksichtslos ich auf deine Kosten gehandelt habe. Jetzt möchte ich gerne da sein und Wege dafür finden, dass du mir wieder vertrauen kannst“.

Frau und Mann liegen nebeneinander Betonboden und sehen sich ernst an

Wie gut haben wir alle gelernt, uns stattdessen in den Mantel der Selbstvorwürfe einzuhüllen, uns kleinzumachen und dabei so zu tun, als würde das eine (vermeintliche) Schuld tilgen. Das ist ironischerweise soviel egoistischer als den Blick zu heben, tief durchzuatmen und ein mitfühlendes Gegenüber zu bleiben.

In deiner Präsenz wirst du wieder handlungsfähig. Du kannst du dich z. B. um dein Gegenüber kümmern. Ob das umarmen oder in Ruhe lassen heißt: was jeweils angemessen ist, erkennst du erst, wenn du bewusst hinsiehst. Vielleicht kannst du sogar gemeinsam in den Urlaub fahren oder Kuchen essen. Dann aber freust du dich an diesem gemeinsamen Urlaub und genießt den Kuchen auch.

Den Unterschied macht dein innerer Fokus – deine Präsenz und deine Ehrlichkeit!

Person hält schwarze Maske in den Händen vor orange-schwarzem Hintergrund

Deine Angst erkennen

Aber trotzdem noch einmal: Haben Schuldgefühle nicht schon zu weniger Unheil geführt? Zu sanfterem Umgehen miteinander und zu mehr Vorsicht?

Ja, vermutlich. Aber nicht aus Liebe, sondern höchstens aus Angst.

Schuldgefühle bedeuten einen unsicheren Umgang miteinander. Ein schlechtes Gewissen entsteht aus Angst: vor den eigenen Gefühlen oder denen anderer, Angst davor, ausgestoßen zu werden, einsam zu sein usw..

Und es führt in die Angst: denn es gaukelt dir vor, du bräuchtest Schuldgefühle. Hättest du sie nicht, beweise das ja z. B. wie verachtenswert du „in Wirklichkeit“ wärst.

Das schlechte Gewissen soll dann ersetzen, was du glaubst nicht (mehr) zu sein. Schuldgefühle können dir alles mögliche weismachen:

  • du wärst mangelhaft und nicht liebenswert,
  • du wärst nicht gut genug darin, mit anderen Lebewesen liebevoll zusammen zu leben,
  • deine Wünsche und Bedürfnisse wären weniger wert als die anderer
  • usw.

Und das scheinst du dir dann auch noch zu beweisen: denn so eine Angst blockiert dich, engt dich in deinem Denken und Fühlen ein und verhindert tiefe Begegnungen. Sie schränkt dich schließlich darin ein, freie, wohltuende Verbindungen zu spüren und zu pflegen. War ja klar, sagt das Schuldgefühl…

Du merkst es, oder? Wir drehen uns im Kreis…

Blaue Neonbuchstaben mit dem Wort EXIT und einem Pfeil nach rechts unten vor schwarzem Hintergrund

Wege aus deinen Schuldgefühlen

Und jetzt? Raus aus diesem Kreislauf! Du lernst mit deiner Angst umzugehen und hörst gleichzeitig auf, deine Schuldgefühle zu füttern.

Und siehe da, du wirst feststellen: du brauchst keinen Ersatz für das, was in uns Menschentieren angelegt ist: die Fähigkeit zur Verbundenheit.

Du wirst verlernen, dich schuldig zu fühlen und lernen dich sicher zu fühlen. Und du wirst überrascht sein, wie viel Zuneigung und Mitgefühl in dir steckt. Es sei denn, du hast guten Grund dich zu wehren und deine Krallen auszufahren.

Denn gleichzeitig erkennst du klarer, wen und was du alles nicht magst. Wann du ein „Nein“, statt ein „Ja“ brauchst und welche Beziehungen du nicht mehr führen willst.

Statt mit schlechtem Gewissen zu wiederholen, was du verabscheust, kannst du neue lebendige Wege für dein Leben finden.